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Fethi Belaid auf dem heutigen Platz des 14. Januar
Es erschien am 15. Januar, dem Tag nach Ben Alis Flucht, in unserer Zeitung
Der tunesische Fotograf Fethi Belaid über das Bild am Platz des 7. November in Tunis:
„Ich habe in diesen Wochen viel fotografiert. Zwei Tage, bevor dieses Bild entstand, nahm mich ein Angestellter des Innenministeriums zur Seite und sagte: »Fethi, verschwinde, sonst lass ich dich in den Ofen werfen wie einst die Juden.« Ich habe eine Familie, hatte Angst und bin sofort nach Hause. Aber nur für einen Tag. Am 14. Januar war ich wieder unterwegs. Es war der Tag des Generalstreiks, die Polizei prügelte auf alle ein, die sich auf dem Platz des 7. November aufhielten. Ich stand mit anderen Journalisten vor dem Innenministerium, dann warfen sie Tränengas, alle wichen zurück, ich lief in die andere Richtung. Ein Polizist flüchtete mit mir, auch er hatte Tränengas abbekommen. Ich hatte eine Flasche Wasser dabei und half ihm. Nun stand ich an einer idealen Stelle und fotografierte. Die Aufnahme ist für mich voller Symbolik: vorn das Plakat von Ben Ali und dahinter das Gebäude seiner Partei, beides verschwindet im Rauch.“
Khasri Abdelasis hat den Präsidenten befreit. Fast zwei Jahre lang lag das Porträt Ben Alis in dem hölzernen Tresenschrank im Café La Fontaine. Jetzt hat er das auf eine Spanplatte geklebte Foto hervorgeholt, hält es hoch, wiegt es wie ein Baby in seinen Armen, lacht, tanzt damit vor den Gästen des Cafés und hält es wieder in die Luft. „Ich liebe ihn“, ruft der Oberkellner, die beiden Kollegen an der Theke haben nun ihre Arbeit unterbrochen, schauen ungläubig, dann sagt er nochmals: „Ja, ich liebe ihn, und ich würde mich freuen, wenn er noch an der Macht wäre.“
Es ist ein warmer Tag in Tunis, kurz bevor der Winter kommt. Draußen haben sich die Tische des Café la Fontaine gefüllt. Es gibt kaum einen symbolischeren Ort für den Aufstand in dieser Stadt. Am Platz des 7. November hat sich die Macht des Regimes verdichtet. Im Norden ist das verglaste Hochhaus der früheren Partei Ben Alis, der RCD, zu sehen. Im Westen liegt das Innenministerium. Dort ließ das Regime seine politischen Gegner in Kellerverliesen foltern. Vor dem Ministerium führt die Avenue Bourguiba entlang, hier riefen die Tunesier „Dégage Ben Ali“, „Verschwinde, Ben Ali“, so lange, bis sie erreicht hatten, was sie wollten. Am 14. Januar 2011 verließ Ben Ali das Land Hals über Kopf. Wenige Tage später wurde das Straßenschild am Platz überklebt. Aus dem Platz des 7. November, der Tag an dem sich Ben Ali vor einem Vierteljahrhundert an die Macht geputscht hatte, wurde der Platz des 14. Januar. Das war der Tag an dem sich das Volk die Macht in Tunesien zurückerobert hat.
Und was hat es uns gebracht?“, fragt Abdelasis, den Ben Ali jetzt unterm Arm geklemmt. Vor der Revolution, sagt er, da ging er mit 10 Dinar zum Markt und kam mit schweren Tüten nach Hause. Er geht jetzt ein bisschen in die Knie und spielt jemanden, der zwei schwere Taschen schleppt. „Heute bekomme ich dafür kaum mehr etwas“, sagt er. „Die Preise sind explodiert, aber unsere Gehälter sind so niedrig wie zuvor.“ Früher saßen draußen an den Tischen oft Touristen aus alle Herren Länder. Ganze Reisegruppen waren es, durstig und hungrig waren sie, und am Ende gab es meist ordentlich Trinkgeld. Heute kommt hin und wieder ein einzelner Reisender, trinkt einen Espresso, blättert in der Zeitung und geht dann wieder.
Abdelasis ist 50 Jahre alt. Er hat in seinem Leben nie protestiert. Er hat sich damals sogar ein bisschen geärgert, weil er an diesen Tagen des Ausnahmezustands keine Busse und keine Taxis fand und den langen Weg nach Hause zu Fuß gehen musste. Er sagt, dass er ein einfacher Mensch sei und dass er nicht viel vom Politisieren hält. „Ich mache meine Arbeit und gut.“
Doch derzeit ist selbst das mit der Arbeit schwierig. Tunesien steckt im Transformationsprozess. Das Land befindet sich in der Übergangsphase von einem autokraten Staat zu einem demokratischen System. Der Weg ist beschwerlich. Noch hat die verfassungsgebende Versammlung kein neues Grundgesetz für das Land präsentiert. Bis heute hat sich die Wirtschaft des Landes nicht von den Unruhen erholt. Die Inflationsrate ist seit der Revolution von 4,4 auf 6 Prozent gestiegen, die Arbeitslosenquote von 14 auf 18 Prozent. Im vergangenen Jahr besuchten immer noch rund 15 Prozent weniger Touristen das Land als vor dem Umbruch.
Wieder gehen deshalb die Menschen auf die Straße, im Herbst protestierten sie im Süden in Siliana, später brodelte es in Gafsa. Dort ist fast jeder zweite junge Tunesier ohne Job. Zuletzt gab es auch wieder Proteste in Tunis.
Die Anhänger der islamistischen Partei Ennahdha wurden jahrzehntelang von Ben Alis Regime verfolgt, jetzt sollen sie plötzlich das Land aus der Krise führen. Auch deshalb verläuft der Demokratisierungsprozess nur schleppend. Die Organisation Human Rights Watch hat zwar in ihrem Bericht zwei Jahre nach der Revolution viele neue Freiheiten in dem Land gelobt, doch die Menschenrechtler haben fast noch mehr Rückschläge beobachtet: Es fehlen Reformen für eine unabhängige Justiz, kritisiert Human Rights Watch, Angriffe von Fundamentalisten würden nicht ausreichend verfolgt, und immer noch gebe es Versuche der Exekutive, die Medien zu kontrollieren.
Olivia Gré sitzt hinter ihrem Schreibtisch im Büro von Reporter ohne Grenzen. Das Büro wurde in der Rue des Entrepeneurs in Tunis ein Dreiviertel Jahr nach der Revolution eröffnet. Der Verein kämpft dafür, dass Journalisten ungehindert ihrer Arbeit nachkommen können.
Gré ist eine zierliche Frau von 29 Jahren, hat glattes, halblanges Haar und dunkle braune Augen. Links neben ihrem Schreibtisch hängt eine Weltkarte an der Wand. Jedes Land erscheint in einer bestimmten Farbe, um zu zeigen, wie es um die Pressefreiheit dort bestellt ist. Tunesien ist auf der Karte schwarz angemalt. Schwarz heißt: sehr kritische Situation. Es gibt vielleicht ein Dutzend Länder auf der Welt mit dieser Farbe. Sudan, Iran und Somalia gehören dazu.
Das Schwarz liegt aber daran, dass die Karte noch vor der Revolution gedruckt wurde. „Eigentlich müsste Tunesien inzwischen die Farbe Rot bekommen“, sagt Gré. Rot ist weniger dramatisch. Rot heißt: schwierige Situation. Orange, sagt sie, ist das Ziel. Orange sind Länder wie Bulgarien, Ungarn und Indien. In der Definition von Reporter ohne Grenzen heißt das immer noch: große Probleme in Sachen Meinungsfreiheit. „Aber das schaffen wir in diesem Jahr noch nicht.“
Gré muss immer noch um Grundsätzliches streiten. Gerade kämpft sie um die Umsetzung der beiden Artikel 115 und 116. Dabei geht es unter anderem um Quellenschutz und eine Regelung, die künftig verhindern soll, dass die Regierung die Chefredakteure der öffentlich-rechtlichen Medien ernennt. Außerdem wenden Gerichte weiterhin Gesetze aus der Ben-Ali-Zeit an, um Journalisten unter Druck zu setzen. Der Besitzer eines Fernsehsenders wurde vor knapp einem Jahr verurteilt, weil er den Film „Persepolis“ ausstrahlte, indem Gott als alter Mann dargestellt wurde. Einem Verleger wurde ein Foto von Sami Khedira zum Verhängnis, das den deutsch-tunesischen Fußballer mit seiner nackten Freundin Lena Gercke zeigte. Er wurde verhaftet und zu einer Geldstrafe verurteilt.
„Ich zeige ihnen jetzt mal etwas“, sagt Olivia Gré und dreht den Monitor ihres Rechners zur Seite. Die Zahlen, sagt sie, seien noch nicht offiziell, aber besorgniserregend. „Wir wissen noch nicht, wie wir damit umgehen sollen.“ Sie hat in einem Formular alle Angriffe auf Journalisten aufgelistet. Tatort, Zeitpunkt, Art des Angriffs und Namen. Bis zum November waren es 130. Die meisten gab es in dem Monat der Proteste gegen die Mohammed-Karikaturen. „Wissen Sie, wie viele Gerichtsprozesse das nach sich zog“, fragt sie und zeigt dann mit dem Finger auf eine Spalte daneben. Die ist leer. „Genau das ist das Problem.“
»Wir sind damit beschäftigt zu verteidigen,
was wir in der Revolution erkämpft haben.«
Olivia Gré, Reporter ohne Grenzen
Es ist eigentlich ein neues Phänomen. Vor der Revolution wurden vor allem Menschenrechtsaktivisten bedroht und angegriffen. Inzwischen werden immer häufiger Journalisten und Politiker Opfer von Gewalt. „Wir wissen nicht, wer die Angreifer sind“, sagt Gré. Manchmal sind es Salafisten, dann wieder Polizisten, die ihr altes Verhalten nicht ablegen können, dann Bürger, die von extremistischen Politikern aufgehetzt werden. „Eigentlich sind wir ständig damit beschäftigt zu verteidigen, was wir in der Revolution erkämpft haben“, sagt Gré.
Aber ist die Lage tatsächlich so feindselig, wie es Reporter ohne Grenzen schildert? Man muss Sana Sbouai anrufen, um zu verstehen, was es bedeutet, in diesen Tagen für ein tunesisches Medium zu arbeiten. Sana Sbouai schreibt für das Internetblog Nawaat. Das Treffen soll in einem Café an der Kasbah sein. Die Kasbah ist der Platz vor dem Amtssitz des Ministerpräsidenten und dem Finanzministerium. Kurz nach der Revolution haben sie hier alle Mauern übermalt und somit auch die Graffitis der Protestbewegung übertüncht. Die Revolution hat so nur wenige sichtliche Spuren hinterlassen. Eigentlich ist es seltsam. Tunesiens Aufstand hat die arabische Welt verändert, aber heute gibt es kaum etwas, das noch daran erinnert, keine Souvenirs, keine Poster, keine T-Shirts. Die Künstlerin Faten Rouissi hat ausgeschlachtete Importautos der geflüchteten Ben-Ali-Familie mit Graffitis verschönern lassen. Aber schon wenige Monate später wurden die kunstvoll besprühten Wagen bis auf drei entsorgt. Es gibt Tunesier, die sagen, dass sie ihren Sieg nie wirklich feiern konnten, weil nach der Revolution gleich die nächsten Probleme begannen.
Sana Sbouai will sich um 10 Uhr treffen, aber dann soll es doch später sein. „Sagen wir 12 Uhr“, meint sie am Telefon und ruft kurz danach wieder an, dass es heute doch nicht klappt. Um 14 Uhr meldet sie sich doch noch einmal und taucht wenig später auf. Sana Sbouai ist 29 Jahre alt, sie hat dunkles langes Haar und trägt eine schwarze Brille. „Es ist ein Albtraum“, ruft sie schon von Weitem. Nawaat ist wieder einmal von Hackern angegriffen worden, den ganzen Vormittag haben sie versucht, die Seite wieder online zu bringen.
Nawaat ist inzwischen wieder erreichbar. Doch Sbouai ist immer noch wie aufgedreht. Sie bestellt ein Crêpe, und als sie den Kellner wegschickt, wird ihr auffallen, dass sie gar nicht gefragt hat, ob ihr Gegenüber auch etwas bestellen möchte. „Gott, bin ich unhöflich“, sagt sie und entschuldigt sich mit der Aufregung am Morgen.
Es ist nicht klar, aus welcher Richtung die Angriffe kamen. Nawaats Gegner sind heute nicht mehr so einfach auszumachen. Der Feind ist nicht mehr das Regime. Die neuen Widersacher sind all die, über die Nawaat schreibt: Unternehmer, Linke und Rechte, Politiker, Islamisten und Säkulare. Es ist nicht allein das frühere Regime, das sich an Demokratie gewöhnen muss.
Nawaat hat schon 2004 auf Unregelmäßigkeiten bei Ben Alis Wahl hingewiesen, indem sie die Netzsperren der Regierung umgingen. Wenige Wochen vor dem Umbruch stellten sie die Botschaftsdepeschen von Wikileaks ins Netz, die kein gutes Licht auf die Familie Ben Alis warfen. Ende 2010 berichteten sie von den Protesten in Sidi Bouzid, als kein Journalist die Stadt betreten durfte. Nawaat hat später dafür jede Menge Preise von Menschenrechtsorganisationen erhalten.
Sbouai hat erst wenige Tage vor dem Treffen einen Artikel geschrieben, in dem sie sich wütend darüber beklagt, dass westliche Journalisten, wenn sie über Tunesien schreiben, meist nur ein Thema kennen – den wachsenden Salafismus. Zuvor hat es wieder einmal Auseinandersetzungen gegeben. In Manouba, einem Vorort von Tunis, sollen Extremisten Händler angegriffen haben, die Alkohol verkauften.
Der Salafismus in Tunesien ist eine neue Herausforderung für das Land. Salafisten wenden sich einem puristischen, wortgetreuen Islam zu. Einige gelten als gewaltbereit und haben zuletzt Kunstausstellungen, Gaststätten und Videotheken attackiert. Etwa jede achte Moschee soll inzwischen von salafistischem Gedankengut geprägt sein, drei salafistische Parteien werben derzeit um Anhänger. Früher haben Ben Alis Schergen dafür gesorgt, dass kaum Platz für ultrakonservative Ideologien in dem Land war. Noch sind die Salafisten, verglichen mit Ländern wie Ägypten, in Tunesien eine kleinen Gruppe. Aber je größer die sozialen Probleme in dem Land werden, desto stärker ist ihr Zulauf.
»Keine der Parteien hat bisher ein Wirtschaftsprogramm vorgelegt.«
Sana Sbouai
Es wird nicht lange dauern, da wird Sbouai von selbst auf das Thema kommen. „Wir dürfen diese Entwicklung nicht verharmlosen“, sagt sie und legt die Gabel zur Seite. „Aber jetzt mal im Ernst: Wir leben doch nicht in einem Gottesstaat? Sehen Sie sich doch um.“ Aber genau ein solches Bild würden westliche Medien zeichnen, kritisiert sie. „Die Mehrheit der Tunesier interessiert sich nicht für diese religiösen Debatten“, sagt Sbouai. „Die Menschen haben für Brot, Jobs und Freiheit gekämpft. Darum geht es.“ Dann erzählt sie, wie in Tunesien innerhalb eines Jahres Wahlen organisiert wurden. Sie schildert, wie die Leute in Schlangen standen, um frei wählen zu können. „Tunesier!“, sagt sie, „die diszipliniert in einer Schlange stehen.“ Niemals hätte sie sich das vorstellen können. Stundenlang hätten sie vor den Wahllokalen ausgeharrt. „Diese Entwicklung ist doch großartig.“
Die Bloggerin ortet einen anderen Skandal in diesem Land. „Keine der Parteien hat bisher ein Wirtschaftsprogramm vorgelegt“, sagt sie. Tatsächlich hätte Tunesien gar nicht so schlechte Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Aufschwung. In wohl keinem Land des Arabischen Frühlings gibt es so viele Akademiker. Aber das Land hat jahrelang am Arbeitsmarkt vorbei ausgebildet, beklagen Experten. Fast jeder dritte Akademiker bleibt in Tunesien ohne Job.
Zudem ist Tunesien viertgrößter Phosphatproduzent der Welt. Aber von den Phosphatvorkommen haben bisher nicht nur wenige profitiert, auch die Zahl der Beschäftigten sank durch das Ende des Untertagebaus seit den 80er-Jahren um ein Drittel. „Die Arbeitslosigkeit, die Einkommen“, sagt Sana Sbouai. „Das sind unsere eigentlichen Probleme.“ Und sie spricht noch etwas an: die ungeklärte Situation Hunderter Flüchtlinge im Süden des Landes, die dort seit den Unruhen in der arabischen Welt ausharren.
Wer die Vergessenen der Revolution sucht, muss das ganze Land durchqueren. Von Tunis sind es mehr als 500 Kilometer bis nach Ras Ajdir an der Grenze zu Libyen. Es geht vorbei an den Retortenstädten des Tourismus, vorbei an Djerba und an Ben Guerdane, der Schmugglerstadt mit staubigen Häusern und schmuddligen Plätzen. Dann kommt die Wüste, eine ewig asphaltierte Gerade, eine Herde Schafe, die die Straße kreuzt und den Verkehr für einen Augenblick zum Stillstand bringt, dann nichts und plötzlich ein Meer aus weißen Zelten, das Flüchtlingslager Shousha.
Ike Emmanuel Chukunu Emaka hockt vor seinem Zelt. „Sehen Sie die Wolke?“, fragt er. Er rückt ein wenig nach vorn. So, als könnte er die Wolke nun besser erkennen. „Können Sie sie sehen? Ja?“ Dann beugt er sich zur Seite und flüstert fast. „Hinter dieser Wolke ist jemand, der nicht zulassen wird, dass wir gehen müssen.“
Ike Emmanuel Chukunu Emaka ist 37 Jahre alt, hat einen kräftigen Oberkörper, über den sich ein ausgeblichenes gelbes T-Shirt spannt. Seit knapp zwei Jahren lebt er im Flüchtlingslager. Im libyschen Bürgerkrieg suchten hier mehrere Hunderttausend Menschen Hilfe. Doch das Ende des libyschen Krieges ist für viele noch lange nicht das Ende der Angst. Immer noch leben mehr als 1000 Menschen in Shousha.
Der Nigerianer Ike Emmanual Chukunu Emaka ist im März 2011 aus Libyen vor den Kämpfen zwischen den Rebellen und den Regierungstruppen geflüchtet. Afrikaner wie er waren in Libyen nie besonders angesehen. Sie verrichteten Jobs, die niemand machen wollte. Im Bürgerkrieg gerieten sie auch noch zwischen die Fronten. Gaddafi setzte Afrikaner als Söldner ein. Seither stehen viele schwarze Einwanderer unter Generalverdacht.
Die verbliebenen Bewohner Shoushas fürchten in Libyen den Zorn der Rebellen. Auch in ihre Heimat wollen sie nicht zurück. Ike Emmanuel Chukunu Emaka sagt, dass Regierungstruppen sein Haus angegriffen hätten. „Ich war Gott sei Dank nicht zu Hause.“ Aber seine Frau war es. Sein Vater, seine Mutter, sein Bruder. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR glaubt trotzdem nicht, dass er in seiner Heimat verfolgt wird und hat ihm keinen Flüchtlingsstatus zuerkannt.
Im Juni soll das Camp in Tunesien geräumt werden. Das UNHCR hat begonnen, den Druck zu erhöhen. Im November haben sie denen, die nicht als schutzbedürftig gelten, die Verpflegungsration gestrichen. Auch das UNHCR selbst zieht sich immer mehr zurück. Weniger als 20 Mitarbeiter sind noch vor Ort. Vor einem Jahr waren es noch rund 100.
Inzwischen haben sich drei Klassen gebildet. Es gibt die, die keinen Flüchtlingsstatus erhalten haben, so wie Ike Emmanual Chukunu Emaka. Es sind die, die oft ohne jede Hoffnung sind, die nicht weiter und auch nicht zurück können. „Wo soll ich denn auch hin?“, fragt er. Etwa 200 Menschen sind das. Dann gibt es die zweite Gruppe. Das sind mehr als 300 anerkannte Flüchtlinge. Sie sollen in Tunesien integriert werden. Aber in dem Land gibt es noch keine Asylgesetze.
Am glücklichsten sind jene, die in das sogenannte Resettlement-Verfahren von Drittländern aufgenommen wurden. Sie werden auf westliche Staaten verteilt. Erstmals nimmt auch Deutschland an dem Programm teil. Aus dem Lager Shousha sind das rund 200 Menschen. Auch Rheinland-Pfalz hat ein Kontingent an Flüchtlingen aufgenommen. Im Herbst kamen sie nach Bad Kreuznach. Es waren gerade vier.