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Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo
Es erschien am 26. November in unserer Zeitung
Der französische dpa-Fotograf Andre
Pain (41) über das Bild, das den Tahrir-Platz zeigt:
„Das Bild wurde vom Hotel Ismailia aufgenommen, neben dem Verwaltungsgebäude Mugamma. Es zeigt das Abendgebet am 24. November. Die Demonstranten versammelten sich zu einem Sit-in und forderten das Militär auf, sich in seine Kasernen zurückzuziehen. Die Bewegung wollte das Ende des Militärrates, der die Macht nach Mubarak übernommen hatte. Es war das Ende mehrtägiger gewalttätiger Auseinandersetzungen, Demonstranten und Militär hatten sich bekämpft, das Militär hatte eine Betonmauer auf der Mohammed-Mahmoud-Straße errichtet, die zum Innenministerium führt. Fast 40 Tote forderten diese Kämpfe. An diesem Freitag gab es eine der größten Demonstrationen nach dem Umsturz. Wir waren der Meinung, dass nun die zweite Revolution beginnt. Aber wir sollten uns getäuscht haben, es war nur Teil des Übergangsprozesses. Bei den Parlamentswahlen gewannen später Mursis Muslimbrüder.“
Es hat eineinhalb Jahre gebraucht, bis Hassan el Ansari lernte, die Revolution zu lieben. Bis dahin hat er sie aus seinem Wohnzimmerfenster beobachtet wie ein furibundes Schauspiel, das kein Ende findet. Er hat die Flüche und Schreie vom Tahrir-Platz gehört und das Tränengas bis in seine Wohnung im vierten Stock riechen können. Manchmal flüchteten die Demonstranten auch in seinen Hauseingang und standen wenig später vor seiner Tür, die Hosen zerrissen, die Augen geschwollen vom Tränengas und die Angst ins Gesicht geschrieben. Er hat dann Wasser und Parfüm verteilt, weil es den Geruch von Tränengas vertreiben soll. Und einmal hat er einem Mädchen einen Schuh geschenkt, weil es den eigenen auf der Flucht vor den Polizisten verloren hatte.
Wäre diese Revolution nur Theater, Hassan el Ansari hätte da oben einen Logenplatz. Er steht mit einem Feldstecher in der Hand am Fenster, blickt auf die Zelte der Demonstranten und auf das monumentale zentrale Verwaltungsgebäude im Sowjetstil. Nördlich steht das Haus der Arabischen Liga, gleich daneben das Nile-Hotel, dann das ausgebrannte Gebäude der Nationaldemokratischen Partei Mubaraks und schließlich das Ägyptische Museum.
El Ansari nimmt den Feldstecher wieder aus der Hand und setzt sich auf sein Sofa. Es ist ein behaglicher Raum, die schweren Möbel im Biedermeierstil, an der Wand hängen Ölgemälde. El Ansari, 62 Jahre alt, hat graues zurückgekämmtes Haar und trägt einen blauen Trainingsanzug, der nur für zu Hause gedacht sein kann. Er verlässt nicht mehr so oft seine Wohnung, seit es die Demonstrationen gibt. Er bestellt immer häufiger das Essen beim Lieferservice und oft gleich für mehrere Tage. Denn manchmal trauen sich selbst die nicht in die Nähe des Platzes. Es gibt noch einen Grund, weshalb El Ansari zuletzt viel zu Hause war. El Ansari ist Notar am höchsten Gericht in Kairo. Er besiegelt dort Scheidungsvereinbarungen und Testamente. Seit dem Arabischen Frühling aber, sagt er, hat er nicht mehr allzu viel zu tun. Nicht einmal Scheidungen könnten sich die Leute mehr leisten. Und zu vererben gebe es ohnehin immer weniger. „Die Menschen haben einfach kein Geld mehr.“
Mehr als zwei Jahre nach dem Rücktritt Hosni Mubaraks ringt Ägyptens Wirtschaft immer noch um Luft. Die Buchungszahlen im Tourismus liegen mehr als 20 Prozent unter denen der Vorrevolution. Die Devisenreserven sind von 35 Milliarden US-Dollar auf 15 Milliarden geschrumpft. Das ägyptische Pfund ist so schwach wie seit Jahren nicht mehr. 6,8 Pfund kostet der US-Dollar. Vor der Revolution waren es gerade 5,82 Pfund. Die Ägypter trifft das besonders hart. Kaum ein Staat der arabischen Revolte muss so viel Weizen und Zucker importieren wie das 80-Millionen-Einwohner-Land in Nordafrika. Selbst die Hilfe des Internationalen Währungsfonds bleibt bisher nur ein Versprechen. Seitdem die Proteste wieder lauter werden, hält Washington einen zugesagten 4,8 Milliarden-Dollar-Kredit zurück. El Ansari sagt, dass er es richtig fand, dass Mubarak zurücktreten musste. „Er war nicht mehr gut für unser Land.“ Aber er findet es nicht in Ordnung, wie die Sache danach gelaufen ist. „Nach Mubarak“, sagt er, „hätten die Proteste enden sollen.“
In Ägypten hat der Frühling bis heute nicht aufgehört. Vielleicht weil alles viel zu schnell gegangen ist und so die Illusion erzeugte, dass man die Demokratie wie ein einfaches Gesetz beschließen kann. Innerhalb von 18 Tagen hatte das Volk das 30-jährige System aus Unterdrückung und Gewalt gestürzt. Doch der Rückzug Mubaraks war kein Neuanfang. Noch immer werden große Teile der Polizei und Justiz von Mubaraks früherer Gefolgschaft gelenkt. Als der Militärrat 2011 die Macht für einige Monate an sich riss, agierte er nicht weniger autoritär als Mubarak zuvor. Auch die Muslimbrüder stehen in der Kritik. Die Organisation Human Rights Watch kritisierte zuletzt in ihrem Jahresbericht ernsthafte Verletzungen der Menschenrechte.
Mit den Dauerprotesten hat sich der Tahrir-Platz verändert. Der Kreisverkehr ist weltweit zu einem Symbol der Protestbewegung geworden. Längst haben sich auch die Medien darauf eingestellt, dass der Übergang zur Demokratie ein langer Prozess sein wird. Drei Stockwerke unter El Ansari haben ein TV-Sender und eine Tageszeitung ihr Büro. Die Revolution hat die Wohnungen mit dem besten Blick zu begehrten Mietobjekten gemacht. Viele Räume am Platz werden an Fernsehsender vermietet. 300 Euro pro Nacht verlangt mancher Mieter für eine Kamera auf seinem Balkon.
Inzwischen regieren die unter Mubarak verfolgten Muslimbrüder mit ihrer Freiheits- und Gerechtigkeitspartei und dem Präsidenten Mohammed Mursi das Land. Vielen Liberalen missfällt das. Sie kritisieren autoritäre Züge der Partei, und weil die Ägypter wissen, welche Macht die Straße haben kann, gehen sie wieder auf den Platz.
El Ansari hat auch die Wiederkehr der Proteste im November mit seinem Feldstecher beobachtet. Er hat gesehen, wie die jungen Leute erneut ihre Zelte brachten und ihnen wenig später die Teeverkäufer und Souvenirhändler folgten. Die Demonstranten hatten einen neuen Gegner gefunden. Sie malten auf die Transparente die simple Gleichung: Mursi = Mubarak. „Das ist jetzt auch meine Meinung“, sagt der Anwalt. Damit kann er sich endlich anfreunden. „Diesen Protest finde ich gut.“
Wer El Ansaris Wohnung wieder verlässt und dann am Platz steht, der fühlt sich wie auf einem Jahrmarkt. Straßenhändler bieten von ihren fahrenden Öfen heiße Süßkartoffeln an. An den Ständen werden die Souvenirs des Aufstandes verkauft: Vuvuzelas, Armbinden, Sturmhauben und Masken. Ein Mann in blutiger Galabija und mit Kopfverband wird von einer Fernsehkamera zur nächsten geschubst. Er gilt als Kronzeuge der Gewalt, die von Muslimbrüdern ausgegangen sein soll. Vier Tage lang wird er mit seinem blutigen Turban ein gefragter Interviewpartner sein. Mit jedem Tag wird das Blut ein bisschen dunkler, bis es am Ende nur mehr nach Schmutz aussieht.
Diesmal geht es um die umstrittene Verfassung. Das neue Grundgesetz wurde von den Muslimbrüdern und Salafisten entworfen. Für viele Liberale ist es ein weiterer Schritt zu einer Islamisierung des Landes. Human Rights Watch hat zwar das deutliche Folterverbot in der Verfassung gelobt, fürchtet aber, dass die unklar formulierten Bestimmungen gefährliche Auswirkungen auf die Frauenrechte haben könnte.
Nirgends ist die Macht des Volkes so stark wie auf diesem Platz, nirgendwo zeigt die neue Freiheit aber auch so sehr ihre hässliche Seite. Nancy Omar, 48, will darüber berichten. Sie wartet unten am Platz, nicht weit vom Kentucky Fried Chicken, das kuriose Bekanntheit erlangte, weil Mubarak einst erklärte, dass die Jugend nur deshalb protestierte, weil sie von der US-amerikanischen Kette ein Gratisessen angeboten bekam. Es gibt eine Schlägerei auf dem Platz. Nancy Omar packt einen am Ärmel, „sieh nicht hin“, sagt sie, und läuft zu den beiden Zelten ihrer Organisation. Nancy Omar ist so etwas wie die Sprecherin der Organisation gegen sexuelle Belästigung auf dem Tahrir-Platz, Banat Masr Khat Ahmar. Es sind ein paar Jungs dabei, auch ein Anwalt, und mehrere junge Frauen, die keine Angriffe mehr dulden wollen.
Omar ist seit Wochen auf dem Platz und hat festgestellt: „Die Zahl der Übergriffe auf Frauen hat zugenommen.“ Die Übergriffe laufen meist nach demselben Muster ab. Fünf bis sechs Männer kreisen das Opfer ein, einer reißt den Mantel weg, der andere die Jacke, dann fallen sie über die Frauen her. Die Angreifer gehen professionell vor. „Es sind keine spontanen Übergriffe. Sie sind organisiert“, sagt Omar. Einmal haben sie einen der Täter erwischt. Er erzählte, dass ihm ein Motorradfahrer dafür 20 Pfund geboten habe.
»Sie wollen Müttern und Vätern das Signal senden:
Lasst eure Töchter nicht demonstrieren.«
Nancy Omar
Aber es wäre zu einfach, die Taten den Religiösen und ihrem konservativen Frauenbild zuzuschreiben. In der ersten Phase der Revolution waren es die Leute von der Regierung, die die Angreifer bestellten, sagt Omar. Jetzt, vermutet sie, sind es vielleicht die Anhänger der Muslimbrüder. Sie alle verfolgten dasselbe Ziel. „Sie wollen Müttern und Vätern das Signal senden: Lasst eure Töchter nicht demonstrieren.“ Banat Masr will nun dafür sorgen, dass die Männer gefasst und die Mädchen nach den Übergriffen betreut werden. Die Organisation hat eigene Regeln aufgestellt. „Über allem steht die Gewaltfreiheit“, sagt Omar in dem Moment, in dem ein Schlagstock rumgereicht wird. Sie lächelt dann ein bisschen entschuldigend. „Das macht uns alle halt so wütend.“ Omar sagt, dass sich ihr Ägypten verändert hat. Sie versteht nicht, weshalb Frauen heute Angst auf der Straße haben müssen. „Das ist nicht mehr mein Ägypten“, sagt sie dann, den Tränen nahe. „Ich will mein altes Ägypten zurück.“ Aber es ist nicht klar, was sie mit dem alten Ägypten meint.
Das alte Ägypten, nichts könnte es besser repräsentieren als eine der ältesten Universitäten der Welt, die El Azhar, die „Blühende“. Die Universität liegt im Stadtteil Nasr City, nicht weit von der Paradestraße, an der Mubaraks Vorgänger Sadat von der Extremistengruppe Gamaa Islamija erschossen wurde. Es ist kaum vorstellbar, dass sich in den schmucklos grauen Gebäuden die oberste religiöse Instanz in der islamisch-sunnitischen Welt verbirgt. Fast 400000 Studierende besuchen die Universität. Die Gelehrten genießen großen Respekt, ihre Rechtsgutachten dulden selten Widerspruch. Die El Azhar ist auch seit jeher Garant dafür, dass die Waage zwischen fundamentalistischen und liberalen Lehren im Gleichgewicht bleibt.
Dr. Mohammed Abd el Ghany Shama (80), Professor an der deutschen Abteilung der Universität, hat ein Kolloquium mit seinen Studierenden und Assistenten vereinbart. Es geht über einen düsteren Flur, die Treppen hoch in sein Büro. Die Wände wurden lang nicht mehr gestrichen, die Stühlen und Tische haben bessere Zeiten gesehen. Nur wenig wurde in den vergangenen Jahren in die staatliche Universität investiert. Nicht nur deshalb hat sie zunehmend an Einfluss verloren. Sie wurde auch nie den Makel los, dass der Großscheich der El Azhar von Mubarak eingesetzt wurde. Und längst kratzen auch salafistische Prediger mit ihren einfachen Antworten auf komplizierte Fragen an der Autorität der Azharis.
Auf Shamas Schreibtisch liegt eine wissenschaftliche Arbeit über das Bild des Islams in der deutschen Gegenwart ab 1950. Er hat auch ein eigenes verfasstes Büchlein mitgebracht. Darüber möchte er jetzt mit seinen Studenten diskutieren. Es geht in der Diskussion darum, ob nach den Anschlägen des 11. September einzelne Verse, die den Heiligen Krieg betreffen, gestrichen werden sollten. Es kommt zu einer kurzen Diskussion, an deren Ende der Professor sagen wird, dass in seinen Augen niemals ein Koranvers geändert werden dürfe. Aber er wird auch sagen, dass sich jeder Gläubige fragen muss, ob dieser Punkt heute nicht anders ausgelegt werden soll.
Es ist eine zwanglose Runde. Shama sitzt an seinem Schreibtisch, die Zuhörer davor in einer Stuhlreihe. Manchmal wird einer aufstehen und den Raum kurz verlassen, ein Assistent wird Kaffee für die Runde bringen. Zwei Zuhörer diskutieren heftig miteinander, ohne den Professor zu hören. Nur einmal wird es dem Gelehrten zu bunt. Dann bringt er mit einer Handbewegung die Studenten zum Verstummen.
Die El Azhar, könnte man meinen, hat von der Wende profitiert. Nach dem Ende Mubaraks wurden 14 neue Assistentenstellen geschaffen. Die neue Verfassung sieht zudem vor, dass jedes religiöse Gesetz nun von der Universität geprüft werden muss, bevor es in Kraft tritt. Dennoch ist Shama nicht glücklich mit dem neuen Grundgesetz. In einer der umstrittensten Passagen heißt es, dass „die Prinzipien der Scharia“ die Hauptquelle der Gesetzgebung sein sollen. „Ich hätte die Formulierung ,die Prinzipien des Islams' bevorzugt“, sagt er. Denn der Islam stehe für Freiheit, Frieden und Gleichheit, die Scharia aber könne nur eine Auslegung aus verschiedenen Rechtsschulen sein. „Ein Islamist oder ein Salafist versteht vielleicht etwas anderes darunter.“
»Wenn wir Azharis manche Muslimbrüder und Salafisten im Fernsehen über den Islam reden hören, dann können wir oft nur lächeln. Sie verstehen den Islam nicht, sie plappern nur etwas nach.«
Dr. Mohammed Abd el Ghany Shama
Shama will auch gar nicht bestimmen, was Recht und Gesetz ist. „Die El Azhar ist keine politische Institution, wir sind eine wissenschaftliche Einrichtung.“ Und weil es draußen so viele unterschiedliche Interpretationen gibt, beunruhigt ihn das alles viel mehr, als es ihn freut. „Wenn wir Azharis manche Muslimbrüder und Salafisten im Fernsehen über den Islam reden hören, dann können wir oft nur lächeln. Sie verstehen den Islam nicht, sie plappern nur etwas nach.“
Solange die Lehre an der El Azhar von Professoren wie Shama geprägt wird, muss man sich keine Sorgen um Ägypten machen. Aber die Frage bleibt, ob sich die Universität den Einflüssen der Islamisten erwehren kann. Besonders im ägyptischen Hinterland zählt das Wort der salafistischen Prediger mehr als alles andere.
Es ist 18.20 Uhr, kurz vor dem Abendgebet in der Stadt des 6. Oktober, einer Trabantenstadt, rund 30 Kilometer von Kairo. Es ist der Vorabend des Referendums über die neue Verfassung. In der Moschee El Mansur stellt sich der Vorbeter in die Gebetsnische. Er legt beide Hände flach an die Ohren, dann ruft er zum Gebet, „Allahu akbar, Ašhadu an la ilaha illa llah.“ Es ist ein ungewöhnlich schöner Singsang, zu dem sich die El Mansur von Minute zu Minute füllt.
Die Moschee wird vor allem von Salafisten besucht. Früher waren viele der Salafisten unpolitisch. Das hat auch damit zu tun, dass ihnen unter Mubarak politische Aktivitäten verboten wurden. Ein Mann in weißer Galabija und langem Bart erzählt, dass er das erste Mal in seinem Leben politisch aktiv sei, weil ja jetzt jeder politisch ist, und dass mit der Einführung des Wortes Scharia in die neue Verfassung ein wichtiger Schritt für die Zukunft gemacht sei.
Dr. Hamed Khirallah Said, Professor an der Universität von Kairo und bekennender Salafist, hat sich für ein Treffen bereit erklärt. Aber Said ist noch unterwegs. Die Gläubigen in der Moschee sagen, dass er mit einer Gruppe durch die Straße zieht, um für die Abstimmung morgen zu werben. Eigentlich ist das untersagt. Deshalb wird er später Wert darauf legen, dass es nur neutrale Informationsveranstaltungen waren.
Dann steht er plötzlich in der Tür. Said ist eine Erscheinung wie aus einer anderen Zeit. Ein Riese, er muss mehr als 1,90 Meter groß sein, kräftig, rot leuchtender Bart und ein orangefarbener Umhang. Er scheint fast durch den Raum zu schweben, begrüßt jeden Besucher und bittet schließlich in einen Nebenraum.
Said ist charismatisch und eloquent. Er spricht viel in Gleichnissen und manchmal auch in Rätseln. Said sagt, dass ihm nicht alles an der neuen Verfassung gefällt. Er hoffe jetzt aber auf politische Stabilität. „Später können wir die Verfassung immer noch ändern.“ In der Zwischenzeit haben sie im Gebetsraum mit einem Vortrag begonnen, mehrere Scheichs sitzen an einem Tisch und erklären die Verfassung mit einer digitalen Präsentation auf einer Leinwand. Am nächsten Tag wird die klare Mehrheit für die Verfassung stimmen. Und es werden Vorwürfe laut, dass in den Moscheen dafür geworben worden sei.
Said mag die Formulierung „Prinzipien der Scharia“ in der Verfassung nicht. Dies könnte den Liberalen die Möglichkeit geben, die Gesetze zu ändern, fürchtet er. „Wir wollen die klare Einführung der Scharia“, sagt er, und weil er weiß, welche Reaktion solche Sätze im Westen hervorrufen, beruhigt er gleich: „Mit der Scharia hat es immer Religionsfreiheit gegeben.“ Synagogen und Kirchen würden auch dann friedlich nebeneinander bestehen, und deshalb schlägt er vor: „Lasst uns die Scharia einführen und wie einen Baum beobachten und sehen, welche Früchte er trägt.“
Said wird dann seinen Freund anrufen, der in Deutschland gelebt hat, und das Telefon weiterreichen. Dieser wird sich am Telefon als Mahmoud Abdelwahib vorstellen, als Mitglied der Gamaa Islamija, der Organisation, die für die Ermordung von fast 60 Touristen in Luxor im Jahr 1997 verantwortlich gemacht wird. Die Gamaa hat inzwischen dem Terror abgeschworen und die salafistische Aufbau- und Entwicklungspartei gegründet. Abdelwahib will beruhigen. Er sagt, dass Fremde in diesem Land immer willkommen sein werden, wenn sie nicht gerade nackt und Alkohol trinkend durch die Straßen laufen. Dann wird auch er erzählen, dass es nun darauf ankomme, das Volk auf die Scharia vorzubereiten. Der Professor wird da schon verschwunden sein. Er ist bei der Präsentation in der Moschee. Es geht um jede Stimme.